SRMT

Stuttgarter Rahmenempfehlungen zur Mutismus-Therapie (SRMT)

Am 8.Juni 2013 wurden auf der 11. Mutismus-Tagung der Mutismus Selbsthilfe Deutschland e.V. die „Stuttgarter Rahmenempfehlungen zur Mutismus-Therapie“, kurz SRMT, verabschiedet.

Die Anamnesen mutistischer Kinder, Jugendlicher und Erwachsener verweisen – immer noch – auf Jahre zahlreicher Therapieversuche und monatelange Klinikaufenthalte, in denen noch nicht einmal im therapeutischen Setting gesprochen wird und/oder eine Transferleistung in den Kontext Kindergarten, Schule, Ausbildung oder Studium ausgeblieben ist. Vor dem Hintergrund, dass die Jahre der Kindheit und Jugend wertvolle Entwicklungszeiten darstellen, in denen psychosoziale Basalerfahrungen gesammelt und Zukunftsperspektiven generiert werden, ist es für die Betroffenen von Mutismus und ihre Angehörigen essenziell, dass die gute Prognose im Kindesalter therapeutisch genutzt wird, um eine Aufrechterhaltung des Schweigens bis zum Jugend- und Erwachsenenalter und damit eine Mutismusbiografie zu verhindern.

Die Realität sieht allerdings überwiegend anders aus. Zu viele von Mutismus Betroffene befinden sich über Jahre hinweg in ambulanten Therapieprozessen, in denen paradoxerweise nicht am Sprechen gearbeitet wird. Eine Behandlungszeit von bis zu fünf Jahren ohne Erfolg ist keine Seltenheit.

Die SRMT ermöglichen es Eltern, Angehörigen und den Betroffenen selbst, durchgeführte oder bestehende Therapieprozesse zu bewerten und jahrelang andauernde stagnierende Behandlungen kritisch zu hinterfragen.

Stuttgarter Rahmenempfehlungen zur Mutismus-Therapie (SRMT)

  1. Das Ziel einer jeden Mutismus-Therapie ist die verbal-kommunikative und psychosoziale Öffnung des Mutismus und damit das dialogische Sprechen unabhängig von Situation und Person.
  1. Bei der Behandlung der Kommunikationsstörung Mutismus kommen psychiatrische, psychologische, sprachtherapeutisch/logopädische und ergotherapeutische Ansätze in Frage. Der Mutismus erfordert in Abhängigkeit von der individuellen Symptomatik eine interdisziplinäre Zusammenarbeit.
  1. Eine Mutismus-Therapie sollte durch eine konsequente Elternberatung das System der Kernfamilie mit einbeziehen, um aufrechterhaltende Faktoren durch die Angehörigen zu beseitigen.
  1. Um einen Transfer des Sprechens aus dem therapeutischen Setting in den Alltag zu gewährleisten, ist eine enge Kooperation mit dem institutionellen Umfeld der Betroffenen (Kindergarten, Schule, Ausbildungsbetrieb, Jugendamt, Bundesagentur für Arbeit, Arbeitsstelle) notwendig.
  1. In der Behandlung des Mutismus sind direktive, verbale Behandlungsansätze, die von Beginn an am Sprechen ansetzen, zu bevorzugen, um Gewöhnungseffekte des Nicht-Sprechens bei den Betroffenen zu vermeiden. Als ambulante Therapiefrequenz sind zwei Behandlungsstunden pro Woche zu empfehlen.
  1. Nondirektive, nonverbale Therapieverläufe, die innerhalb eines Jahres weder im therapeutischen Setting noch im außerfamiliären Kontext zum Sprechen führen, sind abzulehnen, da sie der Aufrechterhaltung und Chronifizierung der mutistischen Symptomatik dienen und den subjektiven Krankheitsgewinn fördern.
  1. Effiziente Therapieansätze evozieren eine verbal-kommunikative Öffnung und erste lautsprachliche Äußerungen innerhalb von zwanzig Therapieeinheiten.
  1. Im schulischen Kontext sollte eine Notenbefreiung des Mündlichen genauso vermieden werden wie eine Unterrichtsassistenz. Beides unterstützt ebenfalls die Aufrechterhaltung und Chronifizierung des Schweigens und kann zu einer Sekundärsymptomatik (kognitive und sprachpragmatische Leistungsinsuffizienzen, sekundäre Verhaltensstörungen) führen.
  1. Vor dem Hintergrund, dass der Mutismus ab dem Jugendalter häufig von weiteren psychischen Erkrankungen begleitet wird, sollte im Jugend- und Erwachsenenalter eine Testdiagnostik Richtung Sozialphobie, Depression und Zwänge vorgenommen und Komorbiditäten in der Behandlung berücksichtigt werden.
  1. In besonders therapieresistenten Fällen ist die Indikation für eine flankierende Medicotherapie zu diskutieren. Die Fachliteratur empfiehlt bei Mutismus die Wirkstoffgruppe der sogenannten Selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI). Eine medikamentöse Unterstützung ist in einen Gesamtbehandlungsplan einzubetten.

Die SRMT stehen im Einklang mit den Ergebnissen der aktuellen Angst- und Depressionsforschung, wonach traumatische Erlebnisse und Erziehungsfehler nicht mehr als primäre Verursachung angenommen werden.

In der Behandlung des Mutismus stehen heute Konzeptionen und Methoden der kognitiven Verhaltenstherapie im Vordergrund (vgl. Dow et al. 1995, Johnson/Wintgens 2001, Hartmann 2004/2013, McHolm et al. 2005, Lepper/Braun-Scharm 2009, Perednik 2011).

Weitere Informationen können Heft 10 der Fachzeitschrift Mutismus.de entnommen werden.